Seit Ende 2020 produziert die Bitburger Braugruppe an ihren Standorten klimaneutral. Ein freiwilliges Ziel, das sich das Familienunternehmen im Rahmen der Initiative „ZNU goes Zero“ des Zentrums für Nachhaltige Unternehmensführung der Universität Witten/Herdecke (ZNU) gesetzt hat. Dabei legen wir unseren Fokus auf die Nutzung von Grünstrom sowie die Vermeidung und Verminderung unseres CO2-Ausstoßes. Nur die aktuell unvermeidlichen Emissionen werden auf freiwilliger Basis kompensiert. Dabei ist uns bewusst, dass das Thema Kompensation auch kritisch gesehen wird. Warum es dennoch sinnvoll ist, in Kompensationsprojekte zu investieren, und warum solche Maßnahmen keinen „Ablasshandel“ darstellen, beantworten Dr. Axel Kölle, Leiter des Zentrums für Nachhaltige Unternehmensführung der Universität Witten/Herdecke, und Stefan Kauß, Leiter Nachhaltigkeit der Bitburger Braugruppe.
Wie sinnvoll sind freiwillige CO2-Kompensationsprojekte?
Dr. Axel Kölle: Grundlegend sind unternehmerische Investitionen in freiwillige CO2-Kompensationsprojekte sinnvoll, zeigt dies doch, dass sich das Unternehmen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit engagiert. Um dieses Engagement aber von vornherein glaubwürdig zu machen und nicht dem Vorwurf des Greenwashings zu unterliegen, sind zwei Dinge elementar. Zum einen gilt es, einen klaren und kontinuierlichen Fokus auf das Vermeiden und Vermindern von CO2-Emissionen zu legen. Erst dann kann – als letzter Schritt – die Kompensation von ‚unvermeidbaren‘ CO2-Emissionen auf Basis entsprechender Projekte erfolgen. Der zweite elementare Punkt betrifft die Projekte selbst. Hier ist auf die Glaubwürdigkeit der Projekte respektive der damit verbundenen, gehandelten Zertifikate zu achten. Stichworte sind hier beispielsweise die Ausrichtung der Projekte (Standort/Land, Biomasse, Energiegewinnung, Kochöfen, Zusatznutzen über CO2-Bindung hinaus, etc.), das Alter der Zertifikate und zuletzt, welchen Standards die Projekte unterliegen. Darüber hinaus ist auch sinnvoll, zwischen der die CO2-Emissionen berechnenden und der Zertifikate handelnden Institution zu unterscheiden.
Warum kompensiert die Bitburger Braugruppe ihre aktuell unvermeidlichen CO2-Emissionen und welche Projekte wählt sie dazu aus?
Stefan Kauß: Grundsätzlich kompensieren wir – neben dem gesetzlich vorgeschriebenen europäischen Emissionshandel – auf freiwilliger Basis. An erster Stelle steht für uns aber die Umsetzung von Vermeidungs- und Reduktionsstrategien, erst dann erfolgt die Kompensation der aktuell unvermeidlichen Emissionen aus Scope 1 & 2 (Produktionssysteme des Unternehmens). Um zu gewährleisten, dass die Kompensationsprojekte nach Einhaltung bestimmter Kriterien weltweit erfüllt werden und die Emissionen tatsächlich in der angestrebten Höhe kompensiert werden, haben sich diverse Standards am Markt etabliert. Wir kompensieren gegenwärtig mit Zertifikaten nach dem internationalen Gold Standard (GS) sowie dem Verified Carbon Standard (VCS). Im Fokus dieser Kompensationszertifikate befinden sich Anlagen zur Erzeugung von regenerativer Energie wie beispielsweise Photovoltaik und Wind. Vor dem Hintergrund des nationalen Emissionskatasters erfolgt eine Kompensation nur in Ländern und Regionen, in denen eine Zusätzlichkeit gegeben ist, das heißt, ein Projekt darf nur deshalb umgesetzt werden, weil es eine zusätzliche Finanzierung durch den Emissionshandel erhält. Ebenso müssen Emissionsminderungen dauerhaft bis zur jeweiligen Kapazitätsgrenze erfolgen. Die Kompensation erfolgt dann rückwirkend zum vergangenen Geschäftsjahr.
Was bedeutet KLIMANEUTRALITÄT+?
Dr. Axel Kölle: Als ZNU-Partnernetzwerk haben wir den Anspruch, mit unseren Instrumenten Vorreiter für unternehmerische Nachhaltigkeit zu sein – so auch im Bereich Klimaschutz. Mit unserem Projektansatz „ZNU goes Zero“ gehen wir über den „üblichen“ Ansatz der Netto-Klimaneutralität hinaus und haben in diesem Zusammenhang den weiteren Schritt KLIMANEUTRALITÄT+ entwickelt. Als universitäres Institut ist es uns zum einen wichtig, dass die teilnehmenden Unternehmen zusätzlich in die Bildung und Sensibilisierung von Menschen rund um das Thema Nachhaltigkeit/Klimaschutz investieren. Zum anderen bieten wir mit dem zusätzlichen Aufbau von Biomasse – beispielsweise durch das Pflanzen von Bäumen – einen additiven, proaktiven Hebel zur Bindung von CO2-Emissionen. Dieses zusätzliche Engagement unterstreicht somit auch die Ernsthaftigkeit der Unternehmen, mehr Verantwortung für ihr Handeln in Sachen Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu übernehmen.
Und wie baut die Bitburger Braugruppe Biomasse auf?
Stefan Kauß: Für den Erhalt und den Aufbau von Biomasse pflanzen wir beispielsweise Bäume. Außerdem legen wir Blühwiesen und -streifen zur Verbesserung der biologischen Vielfalt in der Landwirtschaft an.
Noch einmal zusammengefasst: Wie genau wird Greenwashing nun vermieden?
Dr. Axel Kölle: Durch das bereits beschriebene stufenweise Vorgehen werden in den einzelnen aufeinanderfolgenden Schritten Sparpotenziale ermittelt, reduziert und vermieden. Jeder dieser Schritte muss dem ZNU über einen jährlich vorzulegenden Erfassungsbogen nachgewiesen werden und wird dezidiert durch das ZNU geprüft. Greenwashing kann somit nicht stattfinden, da zunächst ambitionierte Ziele und Maßnahmen zur Reduktion und Vermeidung umgesetzt werden müssen, bevor letztendlich die unvermeidlichen Emissionen kompensiert werden. Außerdem: Insbesondere der Schritt KLIMANEUTRALITÄT+ geht über marktübliche Ansätze hinaus, weil nach dem Erreichen der Netto-Klimaneutralität Aktivitäten zum Biomasseaufbau folgen müssen, die einen möglichen Vorwurf des Greenwashings weiter entkräften.
Spielt die Kommunikation eines Unternehmens dabei auch eine wichtige Rolle?
Stefan Kauß: Ganz genau. Es ist wichtig, seine Maßnahmen zur Klimaneutralität transparent und detailliert zu kommunizieren. Dazu gehören beispielsweise auch die Höhe unseres CO2-Ausstoßes sowie die der jährlichen Reduktion. Wir nutzen das Thema Klimaneutralität aber nicht in unserer Marketingkommunikation. Denn aus unserer Sicht eignet sich dieses komplexe Thema zum einen nicht für kurze und prägnante Botschaften, zum anderen ist bei diesem Thema immer „Luft nach oben“, das heißt, wir könnten sicherlich immer noch nachhaltiger handeln. Daher konzentrieren wir uns lieber auf die kontinuierliche Umsetzung weiterer CO2-Reduktionsmaßnahmen und informieren unsere Stakeholder in unseren Berichten zur Nachhaltigkeit und auf unseren Websites über unsere Aktivitäten und Fortschritte. Insbesondere im B2B-Bereich sind unsere Nachhaltigkeitsinitiativen von großem Interesse.